Störerhaftung, Rechtliches und Freifunk. Statement eines Berliners

Moin Leute,

ich habe dieses Forum hier bisher bewusst gemieden. Der Hauptgrund ist für mich immer der Umgang hier gewesen: Der ist mir persönlich zu oft nicht gerade sehr konstruktiv oder nett.

Aber wie hier in einer teilweise absolut unkonstruktiven und unanständigen Weise über andere Menschen (und das sind eure Gegenüber!) hergezogen wird, hat mich dann doch dazu bewegt, mich mal hier anzumelden und zu äußern.

Insbesondere zu den Themen https://forum.freifunk.net/t/rechtliches-insbesondere-stoererhaftung/23064/9 und Unterirdischer Chip Artikel - #23 von wusel möchte ich mich äußern.

Ich plane nicht, hier regelmäßiger aktiv zu werden. Dazu fehlt mir neben Studium, Freifunk und Freunden die Zeit.

Falls ihr euch aber mal mit der Berliner Community austauschen wollt, könnt ihr gerne entweder zu einem unserer Freifunk-Treffen kommen (Mittwochs Abend, 20 Uhr, derzeit online), oder auch in unserem Matrix-Channel vorbeischauen (#berlin.freifunk.net). Für eher offizielle Sachen kann man Berliner Freifunker auch auf unserer öffentlichen Mailingliste erreichen (berlin@berlin.freifunk.net).

Nun also frohes Lesen dazu, wie ich, als ein(!) Berliner (von Vielen), die Sache so sehe.

Warum so wenige Berliner in diesem Forum sind

Ein bisschen Kontext: Polynomial_Division kennt ihr ja schon ein bisschen länger, da er schon etwas hier aktiv ist. Er hatte letztens mal auf einem unserer Treffen vorgeschlagen, ob wir uns als Berliner Community nicht hier ein bisschen mehr einbringen wollen. U.a. auch deswegen, weil hier ein paar Leute eine Menge Quatsch über die Berliner Freifunk-Community verbreiten (so der Eindruck mancher Community-Mitglieder). Unsere Community-Entscheidung lautete, dass wir uns hier nicht weiter einbringen wollen.

Es hat zwar niemand laut ausgesprochen, aber mein persönlicher Eindruck war, dass vor allem die teilweise merkwürdigen Umgangsformen hier auch wichtiger Grund für diese Entscheidung waren.

Diese bewusst gewählte Abwesenheit vieler „Berliner“ begünstigt also anscheinend, dass sich hier einige Gerüchte zusammenbrauen.

Wie Freifunk in Berlin organisiert ist

Ich möchte also mal ein paar Dinge aus meiner persönlichen(!) Sicht, als Mitglied einer „Berliner-Community“ darstellen. Mir ist es äußerst wichtig, dass ihr wirklich dieses Statement als persönlich begreift. Ich kann nicht für „Die“ Berliner-Community sprechen. Niemand kann das!

„Die“ Berliner Community, wie einige das hier aufbeschwören, gibt es nämlich garnicht. Berlin ist groß, wir sind Viele. Viele Leute, die einfach Bock auf Freifunk haben. Es gibt in Berlin keine zentralisierte Vereinsstruktur, wie das in vielen Communities der Fall ist (gleichwohl wir gerade dabei sind, daran etwas zu ändern, aber das ist ein anderes Thema).

Sicherlich könnte man das jetzt ewig erörtern: Verein dies, Satzung das, zentrale Entscheidung, bla bla. Aber so ist das in Berlin einfach historisch entstanden. Es gibt kaum, bis keine Hierachien. Wir entscheiden Dinge in gegenseitigem Austausch und Diskussion auf unseren Treffen und/oder der Mailingliste. Berliner Freifunker ist der, der Lust hat sich einzubringen und was macht. Und ganz offensichtlich sind wir damit bisher garnicht mal so schlecht gefahren (siehe hopglass.berlin.freifunk.net).

Weil die Strukturen nun also so sind, wie sie sind, verbietet es sich schon von Haus aus, dass die Berliner Freifunk-Community für irgendwelche Dinge „verantwortlich“ gemacht wird: Wir sind eine Gruppe vieler Individuen, die Freifunk auch innerhalb von Berlin teilweise unterschiedlich verstehen und umsetzen. Der Grundkonsens, der uns alle eint, ist das Pico-Peering-Agreement.

Es ist vielleicht ein bisschen Vergleichbar mit der Kirche: Die einen glauben, dass Gott ein gütiger, alter weißer Mann mit Rauschebart ist, die anderen stellen ihn sich als undefiniertes Etwas vor, das einfach da ist. Und doch sind sie in einer Kirche/Gemeinschaft vereint.

#freifunkstattangst in der Berliner Community

Auch die Gruppe #feifunkstattangst ist ein solcher Teil der Community. Unschwer erkennbar ist, dass #freifunkstattangst sich gerne mit der gesellschaftlichen/politischen Komponente von Freifunk beschäftigt. Aber das ist nicht die komplette Berliner Community. Dennoch kann ich persönlich die Feststellung von #freifunkstattangst, dass die derzeitige Rechtsprechung überhaupt nicht dem Ansinnen der Gesellschaft/des Gesetzgebers entpricht, nur anschließen. Und mein persönlicher Eindruck ist, dass weite Teile der Berliner Community das auch so sehen. Über die Stilmittel könnte man in der Tat streiten, aber das ist nicht mein Punkt und mir bisher auch eher egal gewesen, da ich dieser Gruppe nicht angehöre.

Aus der genannten Situation heraus finde ich es ein wenig merkwürdig, wie hier teilweise auf „die Berliner“ eingedroschen wird. Bitte überdenkt mal eure Ausdrucksweise und lasst uns zu konstruktiver Diskussion zurückkehren.

Umgekehrt finde ich es auch bemerkenswert, welche Kaltschnäuzigkeit hier teilweise zur Schau getragen wird: Anstatt festzustellen, dass ein Mit-Freifunker in Not geraten ist und die Rechtsprechung hier sehr offensichtlich von den mehrheitsgesellschaftlichen Vorstellungen über Gerechtigkeit abweicht, wird Sinngemäß gesagt „selbst Schuld“.

Es wird nicht daran gedacht, dass die generelle Situation, weshalb wir Tunnel bauen müssen, ja das eigentliche Problem ist. Diese Verhalten finde ich, um es klar zu benennen, hochgradig asozial und unempathisch. Diese Einstellung verhindert, die eigentlichen Probleme anzugehen und die Rechtsprechung im Sinne der Gesellschaft und von Freifunk zum positiven zu verändern.

Technische Aspekte

Nach dieser soziologischen Einordnung nun also zu den technischen Raffinessen und Details. Manche Zeitgenossen stellen das ja gerne so dar, als ob die „böse“ Berliner Community den Freifunk dadurch kaputt machte, dass alle direkt ausleiteten. Dies stimmt so nicht! Tatsächlich ist sogar das Gegenteil der Fall:

Wer eben „nur“ schnell eine Berliner Firmware unter https://selector.berlin.freifunk.net herunterlädt, bekommt eine Tunneldigger-Firmware. Tunneldigger ist ein Programm zum Aufbau von L2TP-Tunneln. Über diese wird sämtlicher(!) Verkehr, dessen Ziel nicht das Mesh ist, drüber geleitet. Die Endpunkte dieser Tunnel bilden Community-eigene Server, deren Betreiber natürlich das Provider-Privileg genießen. Dies ist auch die Standard-Konfiguration aller Berliner Router.

Soweit ist also alles genauso, wie es auch in vermutlich allen Communities in Deutschland gehandhabt wird.

Zusätzlich bläuen wir noch jedem (neuen) Freifunker ein, im Zweifelsfall wirklich lieber die Tunneldigger-Firmware zu nutzen. Wer mir das nicht glauben will, kann sich gerne unsere Wiki-Einträge dazu anschauen. Dort haben wir auch erwähnt, dass direkt-Ausleiten sehr unschöne Konsequenzen haben kann.

Ja, aber ihr bietet auch „direkt ausleiten“ an?!

Warum kann es nun also dazu kommen, dass Freifunker abgemahnt werden? Nun, es ist tatsächlich so, dass man, wenn man sich entsprechend bemüht, die Berliner Firmware auch ohne einen Tunnel betreiben kann. Sodass also Daten über den eigenen Internetanschluss in das Internet geleitet werden. Das kann natürlich unterschiedlichste Gründe haben, warum das jemand machen möchte:

Vielleicht erhofft er sich eine bessere Übertragungsperformance. Vielleicht Ist er Rechenzentrumsbetreiber, hat selber der Provider-Privileg inne und braucht deshalb keine Tunnel? Dann könnte er also selbstsändig einen Uplink für das Berlin-Backbone anbieten.

Wie man es dreht und wendet: Direkt ausleiten hat einen Daseins-Zweck und sollte generell möglich sein.

Wer in der Berliner Community direkt ausleitet, hat sich im Allgemeinen bewusst dazu entschieden und weiß genau, was mögliche Folgen sind. Deshalb laufen auch die allermeisten Knoten in Berlin mit einer Tunneldigger-Firmware.

Es kann sein, dass andere Freifunker in dieser Sache anders denken. Aber Freifunk steht für die Freiheit und Demokratisierung von Netzwerken. Es liegt mir persönlich fern, jemanden zu etwas zu zwingen, nur weil ich das technische Wissen und die Möglichkeiten dazu habe.

Eine generelle „Schuld“ der Berliner Community kann ich hier nicht erkennen. Wir geben den Leuten eine deutliche Empfehlung, was sie tun sollten und sagen ihnen auch, was die Konsequenzen sein könnten, wenn sie es anders tun. Wir versetzen Menschen in die Lage, informiert eine eigene Entscheidung zu treffen.

TL;DR

Es gibt Tage, da gewinnt man. Es gibt Tage, da verliert man. Der gute Verlierer zeichnet sich dadurch aus, dass er einen Verlust durch geschicktes Handeln in einen künftigen Sieg verwandelt.

Krampfhaft irgendwelche Sündenböcke bennen zu wollen, gehört nicht zu geschicktem Handeln, sondern ist eine Verdrängungsleistung.

Beste Grüße
anonymous notus

P.S.: Ich hätte diesen Post ja gerne im wesentlich passenderen Thread „Rechtliches, insbesondere Störerhaftung“ gepostet. Aber leider zensiert eure Forensoftware die Themen, die „Neulinge“ sehen dürfen. Ich würde es begrüßen, falls ihr darüber vielleicht nochmal diskutiert, ob das denn wirklich Not tut. Ich denke nämlich, dass solche Prozesse Filterblasen stark begünstigen.

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Das Problem ist nicht, was die Berliner Freifunkenden an Freifunk tun.
Das Problem ist, dass diese Freifunk-Angst-Webseite immer wieder den Eindruck zu erwecken sucht, „für den gesamten Freifunk und dessen Probleme“ zu sprechen. Und das obwohl die Freifunkenden vielen anderen Bundesländern wiederholt klargestellt haben, dass es sie nicht betrifft und dass ihnen diese Form der netzpolitischen Agitation schadet.
Schadet weil es Menschen verschreckt, die bei ihnen Freifunk „so nebenher“ machen und z.B. Uplinks spenden. Und weil die Bindungen so „lose“ sind, dann aus Angst Freifunk abschalten, weil sie sich vor dem fürchten, wass diese FUD-Webseite an Presse-Echo erzeugt.

Wie gesagt: Wenn dort klar gestellt würde, dass es ein Problem von Community X (X = Berlin or whatever) ist und evtl. auch dort gar nicht alle betrifft: Super.
Das Problem ist, dass aber so wie es derzeit passiert eine Mehrheit der Freifunkenden in Haftung genommen wird durch die wenigen Leute, die eine laute Agenda haben.

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Toller Beitrag!!!

Vielen Dank dafür!

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