Liebe Mitfreifunker,
seit dem 15.6.2015 gibt es einen neuen Referentenentwurf zur Änderung des Telemediengesetzes. Da immer noch hauptsächlich über den alten Entwurf gesprochen wird, möchte ich versuchen den neuen Entwurf etwas einzuordnen.
Der aktuelle Referentenentwurf unterscheidet sich deutlich von seinem Vorgänger. Neben einer ganzen Reihe von Änderungen, die erst einmal keinen direkten Bezug zum Freifunk haben, versucht der Entwurf auch wieder die sogenannte Störerhaftung für Telemedienanbieter neu zu regeln. Die Regelungen des ersten bekanntgewordenen Referentenentwurfs, der von allen Seiten nur Kritik auf sich gezogen hatte, finden sich im Wesentlichen nicht mehr im aktuellen Entwurf.
Der Entwurf verfolgt einen anderen Ansatz.
§ 8 Absatz 3 (neu) TMG:
(3) Die Absätze 1 und 2 gelten auch für Diensteanbieter nach Absatz 1, die Nutzern einen Internetzugang über ein drahtloses lokales Netzwerk zur Verfügung stellen.
Um zu verstehen, was der Gesetzentwurf hier regelt, muß man sich erst einmal darüber klar werden, was im Telemediengesetz eigentlich geregelt werden kann. Das Telemediengesetz beschränkt seinen Regelungsbereich bereits in § 1 TMG wie folgt:
§ 1 Anwendungsbereich
(1) Dieses Gesetz gilt für alle elektronischen Informations- und Kommunikationsdienste, soweit sie nicht Telekommunikationsdienste nach § 3 Nr. 24 des Telekommunikationsgesetzes, die ganz in der Übertragung von Signalen über Telekommunikationsnetze bestehen, telekommunikationsgestützte Dienste nach § 3 Nr. 25 des Telekommunikationsgesetzes oder Rundfunk nach § 2 des Rundfunkstaatsvertrages sind (Telemedien). Dieses Gesetz gilt für alle Anbieter einschließlich der öffentlichen Stellen unabhängig davon, ob für die Nutzung ein Entgelt erhoben wird.
[…]
Damit ist die Anwendung irgendeiner Regelung des Telemediengesetzes auf einen Telekommunikationsdienst ausgeschlossen. An dieser Stelle sehe ich dann immer ein großes Fragezeichen in den Augen meiner Gesprächspartner und es kommt sehr schnell die Frage: „Wo ist denn da der Unterschied?“.
Der Begriff der Telekommunikation und seine Abgrenzung zum Medienrecht ist im deutschen Recht durch die Verfassungsrechtsprechung zu Artikel 87 f Grundgesetz geprägt worden. Die in Art. 87 f GG erfaßten Telekommunikationsdienstleistungen sind Dienstleistungen der Telekommunikation, nicht aber Dienstleistungen durch/mittels Telekommunikation. Danach betrifft die Telekommunikation (früher: das Fernmeldewesen) allein den rein technischen Vorgang der körperlose Signalübermittlung. Das Telekommunikationsrecht ist rein technikbezogen.
Die Regelung der durch Telekommunikation übermittelten Inhalte ist hingegen Gegenstand des inhaltsbezogenen Telemedienrechts.
Der vorgesehene neue Absatz 3 des § 8 TMG stellt klar, das ein bestimmter Typ von Zugangsanbietern, eben jene die „Nutzern einen Internetzugang über ein drahtloses lokales Netzwerk zur Verfügung stellen“ ebenfalls als Telemedienanbieter zu betrachten sind. Eine auf den ersten Blick verzichtbare Klarstellung, sagt sie doch nur, daß ein Telemediendienstanbieter ein Telemediendienstanbieter ist. Macht man sich aber klar, was das Telemediengesetz eigentlich nur regelt, erkennt man die Bedeutung dieses Absatzes. Dieser Absatz bezieht sich auf Anbieter - auch auf Freifunkvereine -, die z.B. einen VPN-Dienst betreiben, aber eben nicht auf sonstige Personen, die ihren eigenen Internetanschluß über WLAN mit der Öffentlichkeit teilen. Das von Freifunkvereinen betriebene VPN ist ein Dienst mittels Telekommunikation und damit ein Telemediendienst. Da man „über“ ein drahtloses lokales Netzwerk den Dienst erreichen kann und somit ins Internet kommt, sind Freifunkvereine vom neuen Absatz 3 erfaßt. Das zumindest der Freifunkrouteraufsteller das VPN auch ohne Funknetz nutzen kann ist unerheblich, da Absatz 3 andere Zugangsmöglichkeiten nicht verbietet.
Nicht vom neuen Absatz 3 erfaßt sind sonstige Personen, die ihren Internetanschluß über WLAN öffentlich anderen Nutzern zur Verfügung stellen. Zumindest soweit sie keinen zusätzlichen Telemediendienst anbieten sind sie nur Mitwirkende am Telekommunikationsdienst ihres Telekommunikationsanbieters. Eine Haftungsfreistellung kann nicht wirksam werden, da das TMG gar keine Anwendung findet. Das reine Übermitteln von Signalen und die dabei betriebenen Telekommunikationsdienste werden durch das Telekommunikationsgesetz geregelt.
Fazit: Der neue Absatz 3 bezieht sich auf Anbieter von VPN-Diensten, die sich mit ihrer Dienstleistung an Betreiber öffentlich zugänglicher WLAN-Internetzugänge richten. Freifunkvereine sind miterfaßt. Der neue Absatz 3 zementiert den Status quo, stellt aber sicher, daß Freifunkvereine als Anbieter von Telemediendiensten nach § 8 TMG anzusehen sind.
Der neue § 8 Absatz 4 schränkt die Möglichkeit der Rechtsverletzten gegen einen Anbieter Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche durchzusetzen ein.
(4) Diensteanbieter nach Absatz 3 können wegen einer rechtswidrigen Handlung eines Nutzers nicht auf Beseitigung oder Unterlassung in Anspruch genommen werden, wenn sie zumutbare Maßnahmen ergriffen haben, um eine Rechtsverletzung durch Nutzer zu verhindern. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Diensteanbieter
- angemessene Sicherungsmaßnahmen gegen den unberechtigten Zugriff auf das drahtlose lokale Netzwerk ergriffen hat und
- Zugang zum Internet nur dem Nutzer gewährt, der erklärt hat, im Rahmen der Nutzung keine Rechtsverletzungen zu begehen.
Mit dem neuen § 8 Absatz 4 Satz 1 TMG versucht der Gesetzgeber offensichtlich Vorgaben des EuGH umzusetzen. Das Konzept der „zumutbaren Maßnahmen“ hatte der EuGH in der Rechtssache C‑314/12 eingeführt und bestimmt:
53 Zum anderen ermöglicht eine solche Anordnung es ihrem Adressaten, sich von seiner Haftung zu befreien, indem er nachweist, dass er alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat. Diese Befreiungsmöglichkeit hat aber ganz offensichtlich zur Folge, dass der Adressat dieser Anordnung nicht verpflichtet ist, untragbare Opfer zu erbringen, was u. a. im Hinblick darauf gerechtfertigt erscheint, dass nicht er es war, der die zum Erlass der Anordnung führende Verletzung des Grundrechts des geistigen Eigentums begangen hat.
Nach der Rechtsprechung des EuGH darf eine „zumutbare Maßnahme“ also kein untragbares Opfer für einen Diensteanbieter sein. Im weiteren führte der EuGH auch noch aus, wie weit zumutbare Maßnahmen in die Tätigkeit des Diensteanbieters eingreifen dürfen:
47 Vorliegend ist darauf hinzuweisen, dass eine Anordnung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die auf der Grundlage von Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29 ergangen ist, hauptsächlich erstens mit den Urheberrechten und den verwandten Schutzrechten, die Teil des Rechts des geistigen Eigentums und damit durch Art. 17 Abs. 2 der Charta geschützt sind, zweitens mit der unternehmerischen Freiheit, die Wirtschaftsteilnehmer wie die Anbieter von Internetzugangsdiensten nach Art. 16 der Charta genießen, und drittens mit der durch Art. 11 der Charta geschützten Informationsfreiheit der Internetnutzer kollidiert.
48 Die unternehmerische Freiheit wird durch den Erlass einer Anordnung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden beschränkt.
49 Das Recht auf unternehmerische Freiheit umfasst nämlich u. a. das Recht jedes Unternehmens, in den Grenzen seiner Verantwortlichkeit für seine eigenen Handlungen frei über seine wirtschaftlichen, technischen und finanziellen Ressourcen verfügen zu können.
50 Eine Anordnung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende erlegt ihrem Adressaten aber einen Zwang auf, der die freie Nutzung der ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen einschränkt, da sie ihn verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, die für ihn unter Umständen mit erheblichen Kosten verbunden sind, beträchtliche Auswirkungen auf die Ausgestaltung seiner Tätigkeiten haben oder schwierige und komplexe technische Lösungen erfordern.
Der EuGH hatte in dieser Rechtssache über einen kommerziellen Anbieter von Internetzugängen zu urteilen. Die Meßlatte für ein zu tragendes Opfer muß bei altruistischen Unternehmen, die die Kosten für eine Maßnahme ja nicht an die Kunden weitergeben können, dem gegenüber noch deutlich niedriger liegen, da auch ihr Grundrecht auf Eigentum bei jeder Umsetzung einer Maßnahme verletzt wird. Ein Freifunkverein müßte seine finanzielle Substanz verbrauchen um das Recht, z.B. Urheberrecht, eines anderen durchzusetzen, ohne selbst Vorteile aus der Handlung des rechtsverletzenden Nutzers gezogen zu haben. Eine „zumutbare Maßnahme“, die von einem Freifunkverein verlangt werden kann, darf also fast nichts kosten, muß eine einfache und wenig komplexe technische Lösung sein und darf kaum Auswirkungen auf die Ausgestaltung des Freifunk-VPNs haben. Es bleibt die Frage, was das für eine Maßnahme sein könnte? Möglicherweise ein „Du sollst nicht Rechte anderer verletzen“ Schriftzug irgendwo auf den Werbemitteln des Vereins. Möglicherweise muß man zu dem Schluß kommen, daß es gar keine zumutbare Maßnahme für einen Freifunkverein gibt. Rechtssicherheit schafft dieser Gesetzentwurf jedenfalls nicht.
In Satz 2 des neuen Absatz 4 wird ein Beispiel für eine Maßnahme gebracht, bei der eine Haftungsfreistellung gegeben sein soll. Neben diesem in einem „insbesondere“-Satz gebrachten Beispiel kann es unendlich viele andere Maßnahmen geben, die Satz 1 wirksam werden lassen. Es gibt keine Verpflichtung genau den Satz 2 umzusetzen.
[…] Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Diensteanbieter
- angemessene Sicherungsmaßnahmen gegen den unberechtigten Zugriff auf das drahtlose lokale Netzwerk ergriffen hat und
- Zugang zum Internet nur dem Nutzer gewährt, der erklärt hat, im Rahmen der Nutzung keine Rechtsverletzungen zu begehen.
Generell habe ich an der Wirksamkeit dieses Satzes Zweifel, da der EuGH in der Rechtssache C‑314/12 geurteilt hat, daß Urheberrechtsinhaber immer URL-Sperren (oder ähnliche Maßnahmen) von einem Internetzugangsanbieter fordern dürfen. Natürlich gilt auch hier die Zumutbarkeitsregelung. Diesem Urteilsspruch lauft Satz 2 aber zuwider. Da das Thema Netzsperren ähnlich emotional aufgeladen ist, wie die sog. Störerhaftung und sich Zensursular daran schon die Finger verbrannt hatte, hofft der Gesetzgeber jetzt wohl, daß die EU-Kommission so etwas im Prüfverfahren fordern wird. Ein Lehrstück politischer Feigheit. Im übrigen sollen Richter diese Auslegung des EuGHs ja bereits jetzt beachten.
Dieser Referentenentwurf macht ratlos. Er gibt vor Rechtssicherheit hinsichtlich der sogenannten Störerhaftung schaffen zu wollen, bewirkt aber gar nichts. Wenigstens macht er die Sache nicht schlimmer. Bei diesem Gesetzgeber ist man ja schon mit sehr wenig zufrieden.
Für den Kampf gegen die sogenannte Störerhaftung sind wir mit diesem Gesetzentwurf wieder ganz am Anfang. Ich glaube allerdings auch nicht, daß das Telekommunikationsgesetz dafür überhaupt das richtige Gesetz ist. Wir müssen die EU-Urheberrechtsrichtlinie dahingehend ändern, daß Rechteinhaber pauschal von der Allgemeinheit entschädigt werden und dafür mögliche Verletzungen ihrer Rechte dulden müssen. Anders wird es wahrscheinlich nicht mehr gehen.